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11. April 2017 - Wenn das Fohlen auf sich warten lässt
Soeben haben wir Habibi begrüsst, ein wunderschönes Berber Hengstfohlen, das ganze 373 Tage (also eine Trächtigkeitsdauer von einem Jahr und fast 2 Wochen) auf sich warten liess. Bei einer durchschnittlichen Trächtigkeitsdauer von 336 Tagen waren das viele unruhige Nächte für die Besitzerin, gepaart mit Albträumen.
Die Frage stellt sich natürlich immer: Ist das denn noch normal?
Wir können Euch trösten: Ja, es gibt bei den Stuten immer wieder Trächtigkeiten, die deutlich länger als die normale Trächtigkeitsdauer von 336 +/- 20 Tagen (riesige Spannbreite!) beträgt. Die längste bekannte Trächtigkeitsdauer mit normaler Geburt und normalem Fohlen beträgt 446 Tage!
Trotzdem sollte man sich natürlich Gedanken machen. Hier einige Hintergrundinformationen:
Was, beziehungsweise wer löst die Geburt aus? Die Geburt wird durch das Fohlen, nicht durch die Mutter ausgelöst (die Mutter schaut auch nicht auf den Kalender, nur wir Menschen). Das ist insofern wichtig und sinnvoll, da das Fohlen „reif“ sein muss, d.h. es muss imstande sein, sofort nach der Geburt seine Lungentätigkeit voll einsetzen zu können, um zu atmen, aufzustehen und nach dem Euter zu suchen.
Besteht ein Zusammenhang mit dem Geschlecht des Fohlens, der Rasse und dem Zeitpunkt der zu erwartenden Geburt? Grundsätzlich wird beobachtet, dass Stuten, die früh im Jahr abfohlen (also früh im Vorjahr gedeckt wurden) tendenziell länger tragen als Stuten, deren Geburt erst später im Jahr erfolgen wird. Dies kann als naturbedingter Regulierungsversuch interpretiert werden. Bei Wildpferden ist die Überlebenschance des Neugeborenen am grössten, wenn es in die richtige Jahreszeit (Frühling/Frühsommer) geboren wird. Hengstfohlen sollen ebenfalls etwas längere Trächtigkeitsdauer aufweisen, was allerdings nicht wissenschaftlich belegt ist. Rassenunterschiede sind bekannt. Sehr kleine Ponies haben zum Beispiel eine eher kürzere Tragedauer (290 Tage können normal sein) als andere, vergleichsweise grössere Pferderassen. Ansonsten ist eher zu beobachten, dass eine Stute ihr ganz eigenes Zeitfenster hat, d.h. je besser man die Stute kennt, umso besser kann die Geburt vorausgesehen werden.
Bestehen klimatische Einflüsse? Untersuchungen haben gezeigt, dass Trockenperioden (und damit das Verzögern des Vegetationswachstums) zu einer verlängerten Tragezeit führen können.
Was kann dazu führen, dass die Geburt vom Fohlen nicht ausgelöst wird? Mehrere Ursachen sind möglich. Da das Signal vom Fohlen kommen muss, kann ein vorheriges Absterben des Fohlens dazu führen, dass es kein Signal verschickt. Umgekehrt kann aber auch ein Absterben des Fohlens, insbesondere bei einer Infektion, zu einem Abort bzw. Frühgeburt führen. Ausserdem kann eine Störung, z.B. Missbildungen in hormonproduzierenden Bereichen des Zentralnervensystems, die Ausschüttung des Signals unterlassen.
Gibt es auch Ursachen, die nicht direkt Probleme mit dem Fohlen zugeordnet werden können? Ja. In den USA gibt es z.B. die sogenannte „fescue toxicosis“. Dabei handelt es sich um eine „Vergiftung“ der Mutter mit Pilzsporen, die sich auf bestimmten Gräsern und unter bestimmten Bedingungen vermehren können. Diese haben eine hormonähnliche Wirkung, die dazu führt, dass die Trächtigkeit abnorm verlängert wird und die Milchbildung bei der Mutter ausbleibt. In endemischen Gebieten werden die Stuten mit einem Antagonisten (Domperidon) behandelt, um diese Toxinwirkung zu unterbinden. Bei uns ist diese Art der Intoxikation glücklicherweise nicht bekannt. Andere maternale Ursachen können auf eine Störung in der Plazenta zurückgeführt werden. Das sogenannte „red bag“ Syndrom ist eine Erkrankung der Plazenta, die dazu führt, dass die Eihaut viel zu dick ist (und nicht mehr eine dünne weisse Membran, sondern dick und rot verfärbt ist, deshalb „red bag“). Die Plazenta erscheint dann bei der Geburt als roter Ballon, der nicht reisst unter den Wehen und dadurch zu einem Ersticken des Fohlens führen kann.
Warum nicht einfach die Geburt einleiten? Obwohl die Geburtseinleitung bei der Stute erstaunlich einfach ist, raten wir dazu, dies wirklich nur unter absolut strengen Vorgaben in Betracht zu ziehen, da mit schwerwiegenden Komplikationen zu rechnen ist! Eine Trächtigkeitsdauer oberhalb der normalen Spannbreite ist KEIN Grund, einzuleiten. Folgende Indikationen kommen in Betracht für eine Geburtseinleitung.
1. Lebensbedrohliche/unheilbare/extrem schmerzhafte Erkrankung der Mutter (z.B. Hufrehe, Frakturen, schwere Kolik). In diesem Fall muss gleichzeitig auch alles vorbereitet werden, um das Fohlen mit Kolostrum versorgen zu können und anschliessend einer Amme zuzuführen).
2. Hinweise auf ein zu grosses Fohlen. Dies kann bei einer erstgebärenden Mutter ein mögliches Problem darstellen, da das Fohlen gerade im letzten Monat der Trächtigkeit kräftig wächst. Allerdings staunen wir immer wieder, wie einfach die Geburt auch bei kleinen oder zu jung gedeckten Stuten abläuft. Auch hier ist glücklicherweise die Natur bemüht, „es zu richten“. Erstgebärende Stuten haben durchschnittlich kleinere/leichtere Fohlen als bei späteren Trächtigkeiten.
Fazit: Bevor man voreilig in Panik ausbricht: Trächtigkeitsdauer kontrollieren. Manchmal werden die Daten falsch notiert! Also lieber nochmals nachrechnen. Im Natursprung kann es auch sehr gut möglich sein (vor allem bei guter Fruchtbarkeit von Hengst und Stute) dass die Befruchtung später als errechnet stattfand.
Warten und sich in Geduld üben ist mit Abstand die sicherste Vorgehensweise. Wenn die Mutter keine Störungen im Allgemeinbefinden zeigt (kein Fieber, normaler Appetit, normaler Kot- und Harnabsatz), genügt es, zu beobachten und sich in Geduld zu üben. Im Zweifelsfall Tierarzt beiziehen - lieber einmal zu viel als einmal zu wenig. Dieser überprüft die Lebensfähigkeit des Fohlens und die Plazenta mittels Palpation/Ultraschall. Die Milchuntersuchung (Kalziumgehalt, pH Wert) ist eine sehr wichtige Entscheidunghilfe, ob eine Geburtseinleitung überhaupt sinnvoll ist. Der Vorteil der Geburtseinleitung ist natürlich, dass alles bereit ist, um bei Komplikationen einzugreifen, allerdings ist das Risiko einer falschen Lage des Fohlens höher als bei einer spontanen Geburt.
Wir drücken all unseren übernächtigten Züchtern die Daumen, dass sie durch ein gesundes Fohlen mit glücklicher Mama belohnt werden.